Eine vom Betriebsratsvorsitzenden ohne Beschluss des Gremiums abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung kann dem Betriebsrat nicht nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden.
Der Betriebsrat hat bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung die Nebenpflicht, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine den Maßgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Gremiums ergibt.
Hierzu führte das Gericht aus:
Anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen, kann eine vom Betriebsratsvorsitzenden unterschriebene Betriebsvereinbarung nicht wirksam zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande kommen, wenn es an einem – zumindest (nachträglich) genehmigenden – Beschluss des Betriebsrats für deren Abschluss fehlt.
1. Nach der Konzeption des Betriebsverfassungsgesetzes handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss (§ 33 BetrVG). Eine nicht von einem solchen Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist (schwebend) unwirksam und kann daher keine Rechtswirkungen entfalten. Dem Betriebsrat kann eine ohne einen entsprechenden Beschluss vom Vorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht auf der Grundlage einer Anscheinsvollmacht zugerechnet werden.
a) Eine Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und die andere Vertragspartei darauf vertraut hat oder vertrauen durfte, der Vertretene kenne und billige das Handeln des Vertreters. Sind diese Anforderungen erfüllt, wird die vom Scheinvertreter im Namen des Vertretenen abgegebene Willenserklärung dem Vertretenen zugerechnet.
b) Diese Grundsätze können auf das Verhältnis zwischen Betriebsrat und seinem Vorsitzenden nicht unmittelbar Anwendung finden.
Das Betriebsverfassungsgesetz gestaltet die Rechtsstellung des Betriebsratsvorsitzenden in besonderer Weise aus. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Im Gegensatz zu einem rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Vertreter erfolgt keine Vertretung im Willen, sondern lediglich in der Erklärung. Damit steht dem Betriebsratsvorsitzenden bereits von Gesetzes wegen nicht die Befugnis zur eigenen rechtsgeschäftlichen Willensbildung anstelle des Betriebsrats zu. Eine Entscheidungsbefugnis aus eigenem Recht hat er lediglich in den ihm im Gesetz ausdrücklich zugewiesenen Fällen. Sonst ist eine auf das Gremium des Betriebsrats bezogene Willensbildung erforderlich, die – weil es sich um ein Kollegialorgan handelt – nur durch Beschlussfassung möglich ist. Der Vorsitzende des Betriebsrats gibt daher lediglich Erklärungen für diesen ab und trifft nicht an dessen Stelle auf eigenem Willensentschluss beruhende Entscheidungen. Diese gesetzlich vorgesehene Verknüpfung der Willensbildung im Gremium mit der – lediglich diesen Willen äußernden – Erklärung steht einer unmittelbaren Anwendung der Grundsätze über die Anscheinsvollmacht entgegen.
c) Auch eine entsprechende Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist bei einem Abschluss von Betriebsvereinbarungen nicht geboten. Der Charakter einer Betriebsvereinbarung als privatrechtlich kollektiver und objektives Recht setzender Normenvertrag von Betriebsparteien steht der Annahme entgegen, eine Betriebsvereinbarung könne für den Betriebsrat nach den Grundsätzen einer Anscheinsvollmacht zustande kommen.
aa) Betriebsvereinbarungen sind aufgrund der in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG bestimmten unmittelbaren und zwingenden Wirkung gegenüber den Normadressaten Akte privater Rechtsetzung. Sie gestalten unabhängig vom Willen und der Kenntnis der Vertragsparteien – allein kraft gesetzlicher Anordnung – die Arbeitsverhältnisse der betriebszugehörigen Arbeitnehmer. Deshalb bedürfen durch ihre Regelungen bewirkte Beeinträchtigungen verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen der Arbeitnehmer eines sie legitimierenden Rechtsgrundes. Die demokratisch legitimierte Grundlage hierfür bildet das Betriebsverfassungsgesetz in seiner konkreten Ausgestaltung und unter Berücksichtigung der für die Betriebsparteien bei ihrer Rechtsetzung bestehenden Binnenschranken. Damit hat der Gesetzgeber den Betriebsparteien die Aufgabe überlassen, einen bestimmten Bereich nach näheren Maßgaben im Weg der Selbstverwaltung autonom zu regeln. Die – auf einer regelmäßigen demokratischen Wahl beruhende – Repräsentanz der Belegschaft durch den Betriebsrat vermittelt dessen Legitimation zur betrieblichen Rechtsetzung. Die Befugnis des Betriebsrats – als die Arbeitnehmer repräsentierendes Kollegialorgan – zur Schaffung von objektivem, betrieblichem Recht erfordert aber eine demokratischen Grundprinzipien gerecht werdende Willensbildung dieses Gremiums. Sie hat nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich und gemeinschaftlich durch einen mehrheitlich getroffenen Beschluss zu erfolgen. Eine betriebliche Rechtsetzung aufgrund bloßer Anscheinsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden ist hiermit nicht vereinbar. Die bloße Veranlassung eines Rechtsscheins durch den Betriebsrat oder seine Mitglieder kann keine Geltung von Rechtsnormen im Betrieb begründen.
bb) Die rechtlichen Folgen einer auf Seiten des Betriebsrats angenommenen Anscheinsvollmacht gingen zudem über ihren Zweck hinaus. Die Rechtsfigur soll dem Schutz des Vertragspartners dienen. Sie führt zu einer auf einem Vertrauenstatbestand – dem Rechtsschein – beruhenden Haftung, die sich nicht auf das negative Interesse beschränkt, sondern den Scheinvertretenen rechtlich wirksam bindet. Damit beruht sie auf der Erwägung, dass derjenige, der den Rechtsschein veranlasst hat, auch die hiermit verbundenen Wirkungen zu tragen hat. Eine Betriebsvereinbarung entfaltet allerdings nicht lediglich Rechtswirkungen zwischen den Betriebsparteien, indem sie deren betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis ausgestaltet. Sie gilt vielmehr aufgrund der in § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG angeordneten normativen Wirkung auch unmittelbar – und ohne jede weitere Voraussetzung – für die betriebszugehörigen Arbeitnehmer. Je nach Inhalt der Betriebsvereinbarung würde sich der vertragspartnerbezogene Schutz einer Anscheinsvollmacht damit rechtlich auch zulasten Dritter auswirken.
2. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich auch die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entwickelte Sphärentheorie nicht auf die hier gegebene Konstellation des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung übertragen. Danach wirken sich Mängel im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG grundsätzlich nicht zulasten des Arbeitgebers aus. Dies beruht maßgeblich auf der Überlegung, dass Abs. 2 Satz 2 der Norm im Fall einer Entscheidung des Betriebsrats, sich nicht zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers zu äußern, dessen Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung fingiert. Ein solcher Rechtsnachteil soll den Arbeitnehmer erst recht treffen, wenn der Betriebsrat zwar eine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung übermittelt, sie jedoch in einem fehlerhaften Verfahren zustande gekommen ist. Für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen sieht das Gesetz eine solche Zustimmungsfiktion zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht vor. Schon deshalb müssen für das Zustandekommen von Betriebsvereinbarungen andere Maßstäbe als für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG gelten.
3. Die Zuerkennung einer normativen Wirkung von Betriebsvereinbarungen ohne zugrunde liegenden Beschluss des Betriebsrats nach Rechtsscheins- oder Sphärengesichtspunkten ist auch nicht unerlässlich, um Rechtssicherheit zu schaffen.
a) Hat der Vorsitzende des Betriebsrats eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, die nicht auf einem zuvor vom Gremium gefassten wirksamen Beschluss beruht, kann dieser Mangel geheilt werden. Die von ihm abgegebene Erklärung ist entsprechend § 177 Abs. 1 BGB zunächst nur schwebend unwirksam und kann vom Betriebsrat (nachträglich) genehmigt werden. Obwohl der Vorsitzende den Betriebsrat nur in der Erklärung, nicht aber im Willen vertritt, ist eine entsprechende Heranziehung dieser Norm geboten, um den Betriebsparteien die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler bei der Beschlussfassung des Betriebsrats im Nachhinein zu beheben. Da die Genehmigung seitens des Betriebsrats durch einen Beschluss zu erfolgen hat, ist die für eine Rechtsetzung der Betriebsparteien erforderliche Form seiner Willensbildung gewahrt. Die vom Betriebsrat beschlossene Genehmigung wirkt entsprechend § 184 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung zurück. Die Rückbeziehung der Genehmigungswirkung hat zur Folge, dass die vom Betriebsratsvorsitzenden ohne vorherigen Beschluss des Gremiums unterschiebene Betriebsvereinbarung so zu behandeln ist, als sei sie bereits bei ihrem Abschluss wirksam geworden. Die damit verbundene rückwirkende Geltung ihrer Normen begegnet auch im Hinblick auf § 75 Abs. 1 BetrVG keinen Bedenken. Zwar ist eine Rückwirkung normativer Regelungen durch das Vertrauensschutzprinzip beschränkt. Wegen der normativen Vorgaben in § 184 Abs. 1 BGB müssen allerdings regelmäßig nicht nur der Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer des Betriebs mit einer solchen Wirkungsweise der vom Betriebsrat erteilten Genehmigung rechnen. Nach dem Rechtsgedanken des § 177 Abs. 1 BGB ist die Befugnis des Betriebsrats, eine in seinem Namen durch den Vorsitzenden geschlossene Betriebsvereinbarung im Nachhinein zu genehmigen, nicht befristet. Daher kann die Genehmigung in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich unbegrenzt erteilt werden. Der Arbeitgeber hat es allerdings in der Hand, den mit Blick auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung bestehenden Schwebezustand zu beenden, indem er entweder seine Willenserklärung entsprechend § 178 Satz 1 BGB widerruft oder den Betriebsrat entsprechend § 177 Abs. 2 Satz 2 BGB erfolglos auffordert, sich zur Genehmigung zu erklären.
b) Neben dieser Heilungsmöglichkeit eröffnet das Betriebsverfassungsgesetz Handlungsoptionen, die sicherstellen, dass der Arbeitgeber, der mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung schließt und nach § 77 Abs. 1 BetrVG auch zu deren Durchführung verpflichtet ist, zeitnah Kenntnis davon erlangen kann, ob ein auf den Abschluss bezogener Beschluss des Betriebsrats gefasst wurde.
aa) Bereits die Regelungen in § 29 Abs. 3 und Abs. 4 iVm. § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ermöglichen dem Arbeitgeber, im Vorfeld des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung die erforderliche Beschlussfassung des Betriebsrats zu veranlassen und sich diese durch Aushändigung einer Abschrift der Sitzungsniederschrift nachweisen zu lassen.
(1) Nach § 29 Abs. 3 BetrVG kann der Arbeitgeber die Anberaumung einer Sitzung des Betriebsrats zu einem von ihm verlangten Gegenstand beantragen. Bei einem entsprechenden Verlangen hat der Vorsitzende des Betriebsrats eine solche Sitzung einzuberufen und die betreffende Angelegenheit auf die Tagesordnung zu setzen. Sowohl Wortlaut als auch Sinn und Zweck der Norm zeigen, dass sich der Arbeitgeber auch darauf beschränken kann, lediglich die Ergänzung der Tagesordnung einer bereits anberaumten Sitzung zu beantragen. Damit eröffnet die Vorschrift ihm die Möglichkeit, den Betriebsrat mit einer Beratung über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu befassen.
(2) Macht der Arbeitgeber von diesem Antragsrecht Gebrauch, wird durch § 29 Abs. 4 Satz 1 und § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gewährleistet, dass er einen aussagekräftigen Nachweis über einen (etwaigen) Beschluss des Betriebsrats in dieser Angelegenheit erhält.
(a) Nach § 29 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist der Arbeitgeber – oder ein von ihm entsandter betriebsangehöriger Vertreter – berechtigt, an den Sitzungen des Betriebsrats, die auf sein Verlangen anberaumt wurden, teilzunehmen. Dies erlaubt dem Arbeitgeber (oder seinem Vertreter) zwar nur, während der Beratung des Betriebsrats, nicht aber bei einer etwaigen Beschlussfassung des Gremiums anwesend zu sein. Andernfalls wäre nicht hinreichend sichergestellt, dass eine unbefangene und frei von Einflüssen Dritter getroffene Entscheidung der Betriebsratsmitglieder erfolgen kann. Der dem Arbeitgeber nach § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG abschriftlich auszuhändigende Teil der Sitzungsniederschrift umfasst wegen seiner auf § 29 Abs. 3 BetrVG zurückzuführenden Teilnahme an der Sitzung des Betriebsrats allerdings auch eine dort erfolgte Beschlussfassung. Nur sie gibt den Willen des Betriebsrats zu dem vom Arbeitgeber zur Beratung unterbreiteten Anliegen wieder. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitgeber nach § 29 Abs. 3 BetrVG lediglich die Ergänzung der Tagesordnung einer bereits anberaumten Sitzung des Betriebsrats beantragt hat. Da sich in diesem Fall sein in § 29 Abs. 4 Satz 1 BetrVG vorausgesetztes Teilnahmerecht an der Sitzung des Gremiums nur auf diese Beratung des Betriebsrats beschränkt, erstreckt sich die ihm auszuhändigende Abschrift der Sitzungsniederschrift lediglich auf den von ihm beantragten Tagesordnungspunkt und eine darauf bezogene Beschlussfassung des Gremiums.
(b) Aus der nach § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auszuhändigenden Abschrift der Sitzungsniederschrift müssen sich – wie die Vorgaben in Abs. 1 Satz 1 der Norm zeigen – sowohl der Inhalt eines vom Betriebsrat gefassten Beschlusses als auch das Stimmverhältnis ablesen lassen. Abschriftlich an den Arbeitgeber auszuhändigen ist ferner der Teil der Sitzungsniederschrift, aus dem sich ergibt, dass sie nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BetrVG von dem Vorsitzenden und einem weiteren Betriebsratsmitglied unterschrieben wurde. Gleiches gilt für die Anwesenheitsliste, die nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BetrVG der Sitzungsniederschrift beizufügen ist und die damit einen ihrer Bestandteile darstellt. Zudem muss die an den Arbeitgeber auszuhändigende Abschrift etwaige für die Beschlussfassung erhebliche Einwendungen erfassen, die nach § 34 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gegen die Niederschrift oder ihre Anwesenheitsliste erhoben und dieser beigefügt wurden. Die Abschrift ist – obwohl § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG keine ausdrücklichen Formvorgaben enthält – vom Betriebsratsvorsitzenden zu unterzeichnen. Seine Unterschrift bestätigt, dass der Inhalt der Abschrift im erteilten Umfang mit der Urschrift der Sitzungsniederschrift übereinstimmt.
bb) Darüber hinaus ist der Betriebsrat im Fall des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine den inhaltlichen und formellen Maßgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Betriebsrats ergibt, die für die Wirksamkeit der vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärung erforderlich ist. Das folgt aus § 77 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 BetrVG.
(1) Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat werden sowohl durch die ausdrücklich im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Rechte und Pflichten als auch durch wechselseitige Rücksichtnahmepflichten bestimmt, die sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG ergeben. Aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit folgt, dass sich aus der Wertung der im Gesetz vorgesehenen Rechte auch Nebenpflichten der Betriebsparteien ergeben können. Das Gebot ist Maßstab dafür, wie Arbeitgeber und Betriebsrat ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten wahrzunehmen und auszuüben haben. Sie müssen dabei auch auf die Interessen der jeweils anderen Betriebspartei Bedacht nehmen.
(2) § 77 Abs. 1 BetrVG überträgt dem Arbeitgeber die Verpflichtung, Vereinbarungen zwischen ihm und dem Betriebsrat durchzuführen. Die Norm grenzt nicht nur die Kompetenzen der Betriebsparteien zueinander ab, indem sie dem Arbeitgeber die alleinige Führung des Betriebs überlässt und einseitige Eingriffe des Betriebsrats in die Betriebsführung verbietet. Sie verpflichtet den Arbeitgeber vielmehr auch, solche Vereinbarungen ihrem Inhalt entsprechend im Betrieb und damit auf die Arbeitsverhältnisse der von ihr betroffenen Arbeitnehmer anzuwenden. Gerade weil sich die Wirkung einer Betriebsvereinbarung nicht darauf beschränkt, das zwischen den Betriebsparteien bestehende Rechtsverhältnis zu gestalten, sondern mit ihr nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG auch betriebliches Recht gesetzt wird, hat der Arbeitgeber als zur Umsetzung verpflichtete Betriebspartei ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse zu wissen, ob eine vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebene Erklärung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung auf einem vom Gremium getroffenen Beschluss beruht. Zudem ist er die vereinbarungschließende Partei, die von den Arbeitnehmern – vor allem bei sie belastenden Betriebsvereinbarungen – gerichtlich in Anspruch genommen werden kann. Da die Beschlussfassung des Betriebsrats regelmäßig nicht Gegenstand der Wahrnehmung durch klagende Arbeitnehmer ist, können sie das Vorhandensein eines Beschlusses nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) bestreiten. Der in Anspruch genommene Arbeitgeber ist dann – ggf. auch noch Jahrzehnte nach dem Abschluss der Betriebsvereinbarung – gehalten, hierzu nähere Angaben zu machen, obwohl er seinerseits keine genaueren Kenntnisse über die Beschlussfassung des Betriebsrats hat und sie sich ggf. infolge des Zeitablaufs und einer wechselnden personellen Zusammensetzung des Betriebsrats auch nicht mehr ohne Weiteres verschaffen kann.
(3) Diese in den gesetzlichen Vorgaben des § 77 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 BetrVG angelegte Situation erfordert es, dass der Betriebsrat gehalten ist, dem Arbeitgeber auf ein zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine inhaltlich und formell den Maßgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende Abschrift eines Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen. Aus ihr muss sich die für die Wirksamkeit der vom Vorsitzenden abgegebenen Erklärung notwendige Beschlussfassung durch den Betriebsrat ergeben.
(a) Ein solcher Nachweis ist vom Betriebsrat nur auf Verlangen des Arbeitgebers und zeitnah nach Unterzeichnung einer Betriebsvereinbarung durch dessen Vorsitzenden zu erbringen. Der Betriebsratsvorsitzende muss seine Autorisierung zum Abschluss der Betriebsvereinbarung nicht von sich aus nachweisen. Das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, Kenntnis von einer entsprechenden Beschlussfassung zu erhalten, ist bereits dann ausreichend geschützt, wenn er es selbst in der Hand hat zu entscheiden, ob er einen Nachweis beim Betriebsrat anfordert. Zudem muss die Geltendmachung durch den Arbeitgeber zeitnah nach Abschluss der Betriebsvereinbarung erfolgen. Dies stellt sicher, dass ein wesentlicher Zweck der dem Betriebsrat obliegenden Nebenpflicht – für den Arbeitgeber insoweit Klarheit darüber zu schaffen, ob ihn eine Durchführungspflicht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG trifft – erreicht werden kann.
(b) Auf ein solches Verlangen des Arbeitgebers hat der Betriebsrat ihm eine – den Maßgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende – Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift zu überlassen, aus dem sich die Beschlussfassung für den Abschluss der Betriebsvereinbarung ergibt. Die bloße Vorlage einer Abschrift entsprechend dem sich aus § 172 Abs. 1 BGB ergebenden Rechtsgedanken genügt im Hinblick auf § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG nicht. Der Arbeitgeber, der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verpflichtet ist, die Betriebsvereinbarung und ihre normativ geltenden Regelungen im Betrieb durchzuführen, hat als diese Vereinbarung schließende Partei ein schutzwürdiges Interesse daran, für den Fall einer gerichtlichen Inanspruchnahme durch betroffene Arbeitnehmer das Vorhandensein eines erforderlichen Betriebsratsbeschlusses substantiiert darlegen zu können. Dies wird ihm durch die vom Betriebsrat auszuhändigende Abschrift des maßgeblichen Teils der Sitzungsniederschrift ermöglicht. Aus ihr ergibt sich neben dem Umstand einer Beschlussfassung und ihrem Zeitpunkt auch das Stimmverhältnis. Zudem kann der abschriftlich zu überlassenden Anwesenheitsliste entnommen werden, welche Betriebsratsmitglieder bei der Beschlussfassung anwesend waren und dass der Betriebsrat damit beschlussfähig war. Zwar kommt der – vom Vorsitzenden zu unterzeichnenden – Abschrift der Sitzungsniederschrift im Gegensatz zu ihrem Original regelmäßig kein hoher Beweiswert zu. Legt der Arbeitgeber jedoch auf ein Bestreiten des Arbeitnehmers nach § 138 Abs. 4 ZPO die ihm überlassene und den Vorgaben des § 34 Abs. 2 Satz 1 BetrVG entsprechende Abschrift des die Beschlussfassung dokumentierenden Teils des unterschriebenen Sitzungsprotokolls (nebst Anwesenheitsliste und etwaigen Einwendungen) vor, kann der Arbeitnehmer das Vorhandensein eines mehrheitlichen Beschlusses einschließlich der Beschlussfähigkeit des Betriebsrats zumindest nicht mehr pauschal mit Nichtwissen bestreiten. Vielmehr muss er dann konkret angeben, welche der damit vorgetragenen Tatsachen er in Abrede stellen will.
(c) Die Interessen des Betriebsrats werden durch eine solche Nebenpflicht nicht in übermäßiger Weise beeinträchtigt.
(aa) Der geforderte Nachweis kann vom Betriebsrat ohne Weiteres erbracht werden, weil er nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ohnehin gehalten ist, über jede seiner Sitzungen eine Niederschrift anzufertigen, die mindestens den Wortlaut der Beschlüsse und die betreffende Stimmenmehrheit der Beschlussfassung enthält. Zwar hängt die Wirksamkeit eines Beschlusses regelmäßig nicht von seiner Aufnahme in das Sitzungsprotokoll ab, weil die Niederschrift nicht Teil der Beschlussfassung selbst ist. Ihre Anfertigung ist für die Wirksamkeit eines in der Betriebsratssitzung gefassten Beschlusses vielmehr nur dann erforderlich, wenn er aufgrund gesetzlicher Vorgaben der Schriftform bedarf. Jedoch bildet eine ordnungsgemäße Niederschrift den gesetzlich vorgesehenen und damit wichtigsten Nachweis für die Tatsache einer Beschlussfassung durch den Betriebsrat.
(bb) Die Pflicht des Betriebsrats, dem Arbeitgeber bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung auf sein zeitnah angebrachtes Verlangen eine Abschrift des Teils der Sitzungsniederschrift zu überlassen, in dem die entsprechende Beschlussfassung durch den Betriebsrat dokumentiert ist, bewirkt auch keine unzulässige Einmischung des Arbeitgebers in die vom Betriebsrat selbständig und eigenverantwortlich wahrzunehmende Amtsführung. Dem Arbeitgeber wird dadurch kein mit der – als Strukturprinzip der Betriebsverfassung – gesetzlich geforderten Eigenständigkeit des Betriebsrats und damit seiner Unabhängigkeit unvereinbares Kontrollrecht eingeräumt. Er erhält lediglich zur Sicherung seiner berechtigten Interessen die situativ gebundene Möglichkeit, sich einen aussagekräftigen Beleg über das Vorhandensein eines vom Betriebsrat ohnehin schon von Gesetzes wegen (§ 33 BetrVG) vorzunehmenden Beschlusses zu verschaffen.
Vorinstanz: LAG Düsseldorf, 15.04.2021 – Az: 11 Sa 490/20
BAG, 08.02.2022 – Az: 1 AZR 233/21