Dem Betriebsrat steht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Initiativrecht zu (Abweichung BAG, 28.11.1989 – Az: 1 ABR 97/88).

Hierzu führte das Gericht aus:

Ausgangspunkt für die Annahme eines Initiativrechtes ist zunächst der Wortlaut des Gesetzes in § 87 Abs. 1 BetrVG (Eingangssatz) „mitzubestimmen“, ergänzt um die Eingangsformulierung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG „Einführung“.

Mitbestimmung im Wortsinne beschreibt das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner. Diese gesetzliche Systematik wird nicht zuletzt durch den Konfliktregelungsmechanismus über das Einigungsstellenverfahren gemäß § 87 Abs. 2 BetrVG festgeschrieben.

Die Ausübung der Mitbestimmung als „Vetorecht“, wie es in § 99 Abs. 2 und 3 BetrVG für die personelle Einzelmaßnahme beschrieben ist, kommt nicht in Betracht (BAG, 29.01.2008 – Az: 3 AZR 42/06). Daher entspricht es der übereinstimmenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass im Sinne eines Mitgestaltungsrechtes grundsätzlich auch dem Betriebsrat die Initiative zukommen kann, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen (so schon BAG, 14.11.1974 – Az: 1 ABR 65/73).

Dem folgend hat das Bundesarbeitsgericht zutreffend im Beschluss vom 27.01.2004 – Az: 1 ABR 7/03 – ausdrücklich festgehalten, dass die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung ausdrücklich auch das „ob“ der Anschaffung umfasst, ohne allerdings auf den Beschluss vom 18.11.1989 aaO zurückzugreifen.

Die Grundsätze zur Annahme eines Initiativrechtes sind auch auf die Mitbestimmung bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG übertragbar.

Die Beschwerdekammer verkennt nicht, dass das Bundesarbeitsgericht im Beschluss vom 18.11.1989 – Az: 1 ABR 97/88 – ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung abgelehnt und zur Begründung unter Rn. 22 ausgeführt hat, dass ein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur unter Wahrung der Mitbestimmung des Betriebsrates gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zulässig sei. Damit komme diesem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates eine Abwehrfunktion gegenüber der Einführung technischer Kontrolleinrichtungen zu. Dieser Zweckbestimmung widerspreche es, wenn der Betriebsrat selbst deren Einführung verlangen könne.

Abgesehen davon, dass die Entscheidung des BAG v. 18.11.1989 aaO Kritik erfahren hat, erfordert der Rückgriff auf den Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechtes zur Eingrenzung des oben unter B. II. 1. beschriebenen Wortlautes die Auslegung mittels teleologischer Interpretation als Ermittlung des Gesetzeszweckes; die teleologische Reduktion ist richterliche Rechtsfortbildung.

Die richterliche Rechtsfortbildung kann sich indessen nur innerhalb des vom Gesetzgeber gemeinten Sinn und Zwecks der Rechtsnorm bewegen. Die Auslegung von Gesetzen und richterliche Rechtsfortbildung dürfen sich demnach von dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers – namentlich von der gesetzgeberischen Grundentscheidung – nicht lösen.

Der erkennbare Wille des Gesetzgebers des BetrVG 1972 im Bereich der Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 BetrVG ist im Gesetzgebungsverfahren dokumentiert.

Denn der Gesetzgeber hat bei der Schaffung des BetrVG 1972 bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten bewusst nicht zwischen Mitbestimmungsrechten mit Initiativrecht und solchen ohne Initiativrecht unterschieden: der seinerzeitige Gesetzesentwurf der Bundestagsfraktion der CDU/CSU differenzierte zwischen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates in Form gemeinsamer Regelungsbefugnisse und solchen, die ohne Initiativrecht als Zustimmungsrecht ausgestaltet waren.

Die gemeinsame Regelungsbefugnis sollte bei fehlender Einigung in ein Einigungsstellenverfahren münden, die als Zustimmungsrecht ausgestaltete Mitbestimmung sollte in ein Zustimmungsersetzungsverfahren münden (BT-Drs. VI/1806). Der Ausschuss für Arbeits- und Sozialordnung lehnte diesen Vorschlag nach Beratung ab (dokumentiert zu BT-Drs. VI/2729, Seite 4) und führte u.a. an, dass eine Unterscheidung zwischen echten Mitbestimmungsrechten, die ein Initiativrecht erfassen und solchen, die ausschließlich von der Initiative des Arbeitgebers abhingen und lediglich der Zustimmung des Betriebsrates bedürften, abgelehnt würden.

Der endgültige schriftliche Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drs. VI/2729) beinhaltete sodann im Entwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes als einheitliche Vorschrift über die Mitbestimmung des Betriebsrates in sozialen Angelegenheiten die Norm des § 87 BetrVG in der Eingangsformulierung, wie er heute noch in Kraft ist; eine Aufspaltung der Mitbestimmungsrechte in solche mit und ohne Initiativrecht erfolgte ausdrücklich nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Weg gewählt, dass er Einschränkungen des Oberbegriffs der Mitbestimmung in § 87 Abs. 1 BetrVG (Eingangssatz) in der Weise vorgenommen hat, dass er einzelne Mitbestimmungsrechte wie z.B. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG (betreffend Sozialeinrichtungen) so formuliert hat, dass dort lediglich Form-, Ausgestaltung und deren Verwaltung mitbestimmungspflichtig sind, woraus sich ohne Weiteres ergibt, dass aufgrund dieser ausdrücklich gewählten Formulierung in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG ein Initiativrecht nicht besteht. Genau eine solche Einschränkung findet sich in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht; vielmehr ist dort ausdrücklich die „Einführung“ beschrieben.

Nach alledem kam es für die Annahme eines Initiativrechts zur Einführung der elektronischen Zeiterfassung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht auf die vom Betriebsrat vorgetragene Auffassung an, wonach durch den Wandel der Technik und des Verständnisses von technischen Kontrolleinrichtungen nicht (mehr) von einem reinen Abwehrrecht zum Schutze der Persönlichkeit der Arbeitnehmer im Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auszugehen ist.

Europarechtliche Fragestellungen waren nicht entscheidungserheblich.

Da nach den vorstehenden Ausführungen das vom Betriebsrat für sich reklamierte Initiativrecht bereits vom Wortlaut des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfasst wird, ohne dass insoweit im Wege der teleologischen Reduktion ein reines Abwehrrecht statuiert werden kann, kam es auf die vor allem in der Literatur diskutierte Frage, ob europarechtliche Vorgaben nach der Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 – Az: C-55/18 – ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung begründen können, nicht an.

Auch die Richtlinie 2002/14/EG vom 11.03.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft ist für die Annahme oder Ablehnung eines Initiativrechtes des Betriebsrates bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung nicht einschlägig, beschreibt sie doch in Art. 1 „Gegenstand und Grundsätze“ ausdrücklich lediglich die Festlegung eines allgemeinen Rahmens mit Mindestvorschriften für das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer und überlässt in Art. 1 Abs. 2 die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften.

Ebenso wenig spielt es für die Entscheidung der Beschwerdekammer danach eine Rolle, dass seitens der Arbeitgeberinnen die für die elektronische Zeiterfassung benötigte „Hardware“ angeschafft wurde und letztlich nach Aufnahme der Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung diese wieder abgebrochen wurden. Soweit die Arbeitgeberinnen in diesem Zusammenhang auf Kosten der Inbetriebnahme und der Wartung u.a. durch Beauftragung eines externen Dienstleisters hingewiesen haben, sind das Punkte, die die Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 5 BetrVG bei ihrer Beschlussfassung angemessen zu berücksichtigen haben wird.

LAG Hamm, 27.07.2021 – Az: 7 TaBV 79/20