Bei der Berechnung der sechsmonatigen „Wartezeit“ gem. § 1 KSchG findet eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten aus den Arbeitsverhältnissen mit verschiedenen Arbeitgebern eines Gemeinschaftsbetriebes nicht statt.
Hierzu führte das Gericht aus:
Die in § 1 Abs. 1 KSchG enthaltene Formulierung, nach welcher Kündigungsschutz besteht, wenn das Arbeitsverhältnis „in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat“, stellt auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab, wobei als Arbeitgeber eine natürliche Person oder ein Unternehmen in Betracht kommt. Gleich ob das Unternehmen nur über einen oder über mehrere Betriebe verfügt, besteht die Rechtsbeziehung des Arbeitnehmers zum Unternehmen als Vertragsarbeitgeber.
Dementsprechend kommt der gesetzlichen Formulierung allein klarstellende Bedeutung insoweit zu, als es für die Berechnung der Wartezeit bei einem Unternehmen mit mehreren Betrieben auf die Unternehmenszugehörigkeit und nicht auf die Beschäftigung im einen oder anderen unternehmenszugehörigen Betrieb ankommt. Ohnehin besteht ein Arbeitsverhältnis nicht „in“ dem Betrieb oder Unternehmen, der Betrieb kennzeichnet allein den Beschäftigungsort, das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist in jedem Falle auf das Unternehmen bezogen.
Ausgehend von diesen Grundsätzen bleibt auch bei Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes zu beachten, dass die beschäftigten Arbeitnehmer – vom Sonderfall der unternehmensrechtlichen Verselbständigung des Gemeinschaftsbetriebes als Außengesellschaft und der Einstellung von Arbeitnehmern durch diese abgesehen – jeweils in einer Rechtsbeziehung zu ihrem Vertragsarbeitgeber stehen, der am Gemeinschaftsbetrieb zwar beteiligt, jedoch eigenständig für die Begründung und Beendigung der von ihm – dem Unternehmen – eingesetzten Arbeitnehmer zuständig ist. Jedenfalls bei formaler Betrachtung kann danach die Wartezeit des § 1 KSchG allein auf das Unternehmen als Vertragsarbeitgeber bezogen werden, auch wenn die Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem Gemeinschaftsbetrieb erfolgt.
Nach dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils soll allerdings eine Anrechnung solcher Beschäftigungszeiten auf die Wartezeit des § 1 KSchG erfolgen, welche der durchgehend im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer bei einem weiteren, am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber, zurückgelegt hat. Auch in diesem Fall liege eine ununterbrochene Beschäftigung in demselben Betrieb vor. Anknüpfend an Sinn und Zweck der Wartezeit, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, einen neuen Mitarbeiter kennenzulernen, bevor der gesetzliche Kündigungsschutz eingreift, kämen die „Erprobungserfahrungen“ beiden am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgebern gleichermaßen zugute und seien aus diesem Grunde zusammenhängend und arbeitgeberübergreifend zu berücksichtigen.
Richtig ist zwar, dass bei einem Gemeinschaftsbetrieb nicht allein der Vertragsarbeitgeber, sondern auch der andere am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmer typischerweise Zugang zu denjenigen Informationen besitzt oder erlangen kann, welche die Beurteilung erlauben, ob sich der Arbeitnehmer innerhalb der ersten sechs Monate der Beschäftigung im Betrieb „bewährt“ hat. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass sowohl die originären vertraglichen Gläubigerrechte aus dem Arbeitsverhältnis als auch die Rechtsmacht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses beim Vertragsarbeitgeber liegen.
Allein der Umstand, dass rein tatsächlich auch Verhalten und Leistung (rechtlich) „fremder“ Arbeitnehmer beurteilt werden können, vermag hieran nichts zu ändern. Käme es allein auf die tatsächliche Beurteilungsmöglichkeit ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer eigenen vertraglichen Verbundenheit an, so müsste mit derselben Erwägung auch eine Anrechnung der Wartezeit bei vorangehendem Einsatz als Leiharbeitnehmer oder als Arbeitnehmer aufgrund werkvertraglichen Einsatzes in Erwägung gezogen werden.
Demgegenüber kommt nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Zusammenhang dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass die konkreten Rechtsfolgen, welche sich aus der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Wartezeit hinaus ergeben, allein den Vertragsarbeitgeber treffen.
Die Beurteilung, ob der im Gemeinschaftsbetrieb tätige Arbeitnehmer auf Dauer weiterbeschäftigt werden soll, hat damit für den Vertragsarbeitgeber unmittelbare rechtliche Relevanz, wohingegen für andere am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmen die Bedeutung der erfolgreichen Erprobung zurücktritt. Nur der als Vertragsarbeitgeber am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmer muss im Streitfall die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung darlegen und beweisen und ist mit den hiermit verbunden wirtschaftlichen Risiken belastet, ohne im Zweifel bei den übrigen beteiligten Unternehmen Rückgriff nehmen zu können. Folgt man dem Standpunkt des Arbeitsgerichts, erwirbt im Fall des Arbeitgeberwechsels im Gemeinschaftsbetrieb der Arbeitnehmer sogleich ab Beginn des Vertragsabschlusses mit dem neuen Unternehmen Kündigungsschutz.
Demgemäß bleibt für den übernahmewilligen Arbeitgeber allein die Alternative, von einer Einstellung bereits im Gemeinschaftsbetrieb tätiger Arbeitnehmer abzusehen, wenn er sich in der Vergangenheit von dessen Person kein abschließendes Bild gemacht hat und sich nicht auf Vorgesetztenbeurteilungen verlassen will, oder die sofortige Geltung der Regeln des Kündigungsschutzgesetzes hinzunehmen. Dies gilt erst recht für den Fall, dass der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer beim Wechsel des Vertragsarbeitgebers keine identische, sondern nur ähnliche oder andersartige Tätigkeit als beim vormaligen Vertragsarbeitgeber ausüben soll oder sich die Vertragsbedingungen in anderer Hinsicht unterscheiden.
Anders als bei einer vereinbarten Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit führt die vom Arbeitsgericht vertretene automatische Anrechnung damit zu einer starren und im Ergebnis nicht überzeugenden Rechtsbindung, welche für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keinen ausreichenden Spielraum lässt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Anzahl der in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 23 KSchG zusammengezählt wird. Anknüpfungspunkt für diese Zusammenrechnung ist der Umstand, dass die „persönliche Verbundenheit“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie sie für den vom Kündigungsschutzgesetz ausgenommenen Kleinbetrieb maßgeblich sein soll, bei entsprechender Größe des Gemeinschaftsbetriebes fehlt, ohne dass es hierfür auf die Beteiligung unterschiedlicher Arbeitgeber am Gemeinschaftsbetrieb ankommt. Demgegenüber knüpft die Regelung über die gesetzliche Wartezeit in § 1 KSchG an das rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses an, weshalb sich eine Parallele bei der rechtlichen Beurteilung verbietet.
Soweit ersichtlich wird auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum eine Anrechnung von Beschäftigungszeiten im Gemeinschaftsbetrieb auf die gesetzliche Wartezeit des § 1 KSchG nicht vertreten. Die vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte (LAG Hessen, 05.08.2004 – Az: 5 Sa 1938/03; LAG Rheinland-Pfalz, 08.07.1999 – Az: 6 Sa 365/99) geben zwar diesbezügliche Überlegungen wieder, ohne jedoch entscheidungserheblich darauf abzustellen (vgl. auch LAG Köln, 10.03.2000 – Az: 11 Sa 1464/09). Aus den dargestellten Gründen scheidet nach dem Standpunkt der Kammer die in den zitierten Entscheidungen in Erwägung gezogene Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus.
Verfahrensgang: BAG – Az: 2 AZA 41/11 (anhängig)
LAG Hamm, 25.08.2011 – Az: 8 Sa 373/11