Der in § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG festgelegte Ausschluss von Rechtsansprüchen als Gegenstand von Beschwerden ist streng auszulegen.
Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat aus. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanspruch schwer konkretisierbar ist oder ob der Arbeitgeber einen Entscheidungsspielraum für eine Abhilfeentscheidung hat.
Ob Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch ist, muss im gerichtlichen Verfahren nach § 100 ArbGG entschieden werden und darf nicht der Beantwortung durch die Einigungsstelle überlassen bleiben.
Hierzu führte das Gericht aus:
Nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde eines Arbeitnehmers bestehen.
Sinn und Zweck dieses Einigungsstellenverfahrens bestehen in der Eröffnung eines Wegs zur Beilegung eines betrieblichen Regelungskonflikts.
Hat ein Arbeitnehmer die Veränderung eines ihn beeinträchtigenden betrieblichen Zustands angemahnt, soll mit dem Einigungsstellenverfahren eine zusätzliche Überprüfung der Berechtigung der Beschwerde durch eine dritte Stelle ermöglicht werden.
Im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat legt der Spruch der Einigungsstelle die Meinungsverschiedenheit bei. Stellt die Einigungsstelle die Berechtigung der Beschwerde fest, wird der Arbeitgeber zum Ergreifen geeigneter Abhilfemaßnahmen verpflichtet. Darin besteht die Konfliktlösung durch die Einigungsstelle. Dies kann jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in den Fällen gelten, in denen eine Beschwerde eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegenstand hat. Denn in einem solchen Fall darf weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer der Rechtsweg abgeschnitten werden.
Zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient allein der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen.
Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanspruch „schwer konkretisierbar“ ist oder nicht.
Die Auffassung, der Begriff des Rechtsanspruchs iSv. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG sei einschränkend auszulegen, damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 85 BetrVG nicht leerlaufe, berücksichtigt nicht nur unzureichend Sinn und Zweck der Ausschlussnorm, sondern verwischt zudem die Grenzen der gerichtlichen Überprüfung. Denn ob Arbeitgeberpflichten „schwer konkretisierbar“ sind, lässt sich regelmäßig nicht an Hand objektiver Kriterien ermitteln, sondern hängt weitgehend von der subjektiven Einschätzung des Gerichts ab.
Hinzu kommt die Gefahr einer Durchbrechung der gesetzlichen Mitbestimmungsordnung in den Fällen, in denen der Betriebsrat lediglich eingeschränkt zu beteiligen ist. Könnte etwa eine in Ausübung des Direktionsrechts ausgesprochene Versetzung Gegenstand einer Beschwerde iSd. § 85 BetrVG und Gegenstand eines Einigungsstellenverfahrens sein, würde die in § 99 BetrVG enthaltene Beschränkung des Beteiligungsrechts auf ein Zustimmungsverweigerungsrecht schlichtweg umgangen.
Eine Regelung von Rechtsansprüchen durch die Einigungsstelle widerspricht schließlich der Systematik der Betriebsverfassung.
Denn ihre Schlichtungsfunktion entfaltet die betriebliche Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 BetrVG primär bei Regelungsstreitigkeiten zwischen den Betriebspartnern. Dahinter steht der im Betriebsverfassungsrecht geltende Grundsatz, dass „Rechtsansprüche vor die Arbeitsgerichte gehören und Regelungsansprüche vor die Einigungsstelle“.
Nur ausnahmsweise, und zwar im Wesentlichen in den Fällen, in denen es um eigene Rechte eines betriebsverfassungsrechtlichen Organs geht, weist das Betriebsverfassungsgesetz der Einigungsstelle Rechtsfragen zur Entscheidung zu.
Im Übrigen können Rechtsfragen nur Regelungsgegenstand eines freiwilligen Einigungsstellenverfahrens nach § 76 Abs. 6 BetrVG sein, wobei eine Einigung zwischen den Betriebspartnern zu ihrer Wirksamkeit stets voraussetzt, dass die Betriebspartner hinsichtlich des umstrittenen Rechts verfügungsbefugt sind, was bei dem Betriebsrat in der individualrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Frau B und der Arbeitgeberin auf Seiten des Betriebsrats nicht der Fall ist.
Will man nicht Rechtsdurchsetzungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien beschneiden, nicht die Gefahr einer Durchbrechung der betrieblichen Mitbestimmungsordnung hinnehmen und nicht entgegen dem Willen des Gesetzgebers Rechtsfragen in Regelungsfragen umdeuten, ist § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG streng auszulegen.
Bei einer justiziablen Angelegenheit scheidet die Anrufung der Einigungsstelle aus.
Das gilt unabhängig davon ob die Beschwerde dem Arbeitgeber Spielraum für eine Abhilfeentscheidung lässt oder nicht. Denn bei einer Maßnahme, die in Ausübung eines Arbeitgeberrechts erfolgt, kann ein Spielraum für eine Abhilfe nur dann entstehen, wenn der Arbeitgeber seinen (vermeintlichen) Rechtsanspruch aufgibt. Gerade das will § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG aber verhindern.
LAG Köln, 06.08.2021 – Az: 9 TaBV 26/21